LIEBER MIT FREUNDINNEN BASTELN STATT KICKEN?

Mädchen und Jungen sind unterschiedlich, haben verschiedene Interessen und üben andere Freizeitaktvitäten aus. So weit, so gut. Doch was bedeutet das für Projekte wie ALLE KICKEN MIT und Fußballangebote für Mädchen im Allgemeinen?

Der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest (mpfs) erhebt seit 1998 unabhängige Basisdaten zum Medienumgang von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Die Studien des mpfs dienen als Diskussions- und Arbeitsgrundlage für Medienpädagogik, Politik und Bildungseinrichtungen – für alle die mit Kindern und Jugendlichen zusammenleben und arbeiten.

(https://www.mpfs.de/ueber-den-mpfs/).

Die aktuelle Studie aus dem Jahr 2018 (zur Studie) hat einige interessante Fakten zutage gefördert. So wurden die Kinder im Grundschulalter u.a. nach Ihren Themeninteressen, liebsten Freizeitaktivitäten und Vorbildern befragt. Es ergaben sich erhebliche Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen, die bestehende Klischees durchaus untermauern können… oder eben Wege aufzeigen, um diese zu überwinden.

Themeninteressen variieren deutlich
Erfreulich ist zunächst, dass sowohl Mädchen als auch Jungen Freundschaft als wichtigstes Interesse angegeben haben (Grafik 1). Mädchen scheinen hier sogar etwas mehr Wert auf freundschaftliche Verbindungen zu legen. Zu den Auswirkungen dieses Ergebnisses auf die Projektarbeit wird im Nachfolgenden vertieft eingegangen.
Es zeichnet sich in den weiteren Themenfeldern eine klare Trennung beider Geschlechter ab. So sind Jungen generell stärker an Technik und technischen Geräten bzw. Aktivitäten interessiert als Mädchen. Deutlich wird das am Beispiel von Spielkonsolen und dem Interesse an Smartphones und Internet. Spannend ist hierbei jedoch, dass Mädchen bei ihren liebsten Freizeitaktivitäten bei der Smartphonenutzung vor den Jungen liegen. Hier steht zu vermuten, dass die Art der Nutzung von Smartphones genauer betrachtet werden muss, z.B. der Vergleich der Nutzung als Spielzeit (vgl. Konsoleninteresse) zur Kommunikationszeit (z.B. mit Freundschaften). Auffällig ist bei der genaueren Betrachtung von Spielen, dass Jungen bei Sportsimulationen wie FIFA deutlich aktiver sind als Mädchen (22% zu 1%), wohingegen Mädchen schöpferische und soziale Spiele ohne Wettkampfcharakter (z.B. Sims) bevorzugen. Dass Minecraft bei den Jungen so überaus beliebt ist, kann auch an einer verstärkten Multiplayerausrichtung liegen, die Online-Vergleiche und damit wettkampforientiertes Spielen ermöglicht.
Weiter sind Mädchen an den Bereichen Mode/Kleidung und Bücher/Lesen wesentlich stärker interessiert als Jungen. Es ist davon auszugehen, dass z.B. die Vereinsangebote auf diese Interessen ausgerichtet werden müssen.

Kreative Aktivitäten im Freundeskreis
Die zuvor genannten Tendenzen zeigen sich auch sonst bei den Freizeitaktivitäten. Mädchen bevorzugen hier gegenüber Jungen deutlich Aktivitäten im Freundeskreis (60% Mädchen  zu 52% Jungen), Zeichnen/Malen/Basteln (13%/3%) sowie Zeit mit Tieren (15%/6%).
Was lässt sich daraus schließen? Mädchen scheinen mehr Wert auf soziale Kontakte zu legen, Dinge aktiv gestalten zu können und im Hinblick auf Tiere auch Verantwortung für andere Lebewesen zu übernehmen. Das (abstrakte) Interesse an Sport sowie Freizeitaktivitäten draußen scheint deutlich geringer ausgeprägt im Vergleich.

Bedeutung für die Gewinnung von weiblichen Mitgliedern
Für die Projektarbeit und damit auch für Fußballvereine im Besonderen scheint das zu bedeuten, dass Mädchen mit anderen Angeboten und Werten für eine Mitgliedschaft gewonnen werden müssen als mit dem bloßen Sportangebot an sich.
Es zeigt sich zudem, dass es Mädchen an Vorbildern aus dem Sport mangelt. Dass die öffentliche Berichterstattung schwerpunktmäßig Männer begünstigt, trägt diesem Umstand sicherlich bei. Vorbilder beziehen sie eher aus dem Fernsehen oder der Musik, wo starke Frauen als Rollenvorbilder mittlerweile stärkere Verbreitung finden bzw. die Interessen von Mädchen verkörpern. Akteurinnen wie DagiBee und Bibis Beauty Palace kombinieren Eigenständigkeit mit aktuellen Trends, erzielen äußerst hohe Reichweiten und werden auf Youtube als einem der Hauptkanäle jugendlichen Online-Konsums von einer treuen Fangemeinde verfolgt.

Aus den oben grob erarbeiteten Punkten ergeben sich folgende Schwerpunkte der Projekt- und Vereinsarbeit mit Mädchen, sowohl bezogen auf Drop-in- (Mitgliedergewinnung) als auch Drop-out-Prozesse zum langfristigen Erhalt der Mitgliedschaft und der Verhinderung von Austritten:

  1. Vereine sollten Mädchen ein stabiles soziales Gefüge bieten, in dem sich Freundschaften bilden und verlässliche Bezugspersonen (auch auf Ebene der Teamleitung) entwickeln können.
  2. Sportangebote für Mädchen sind immer auch sozialer Art und ermöglichen das Verfolgen weiterer Interessen (z.B. Teamaktivitäten außerhalb des Sports, Sportangebote ohne Leistungsorientierung bzw. mit der Möglichkeit andere Aktivitäten situativ dem Sport vorzuziehen).
  3. Bildungsangebote und die Chance auf aktive Teilhabe und Gestaltung sollten ausreichend Berücksichtigung im Vereinsleben finden (z.B. Ausbildung zur Trainerin, Übernahme eigener Projekte)
  4. Vereine müssen sichtbare Idole schaffen, die den Mädchen als Rollenvorbilder dienen können und die Bindung an den Verein erhöhen (z.B. Trainerinnen, Spielerin des Frauenteams als Mentorin, weibliche Vorstandsmitglieder).


Die aktuellen Statistiken des Fußballs zeigen, dass sowohl bei den Jungen als auch bei den Mädchen die Jahrgänge vor dem Übergang in den Erwachsenenbereich von hohen Austrittsquoten betroffen sind, z.B. aufgrund von schulischen Verpflichtungen, sich verändernden Interessen und sozialen Umfeldern. Auch bzgl. der Werbung neuer Spielerinnen für den Verein muss Rücksicht auf Unterschiede genommen werden. So zeigen sich bei Mädchen häufiger Bedenken aus dem Elternhaus hinsichtlich Fußball als geeignete Sportart, bzgl. männlicher Übungsleitungen (insb. bei Familien mit Migrationshintergrund) und den mit dem Vereinsleben verbundenen Verpflichtungen zur regelmäßigen Teilnahme.

Wie sieht der perfekte Verein für Mädchen aus?
Vereinfacht dargestellt sind moderne Vereine für Mädchen wie folgt zu charakterisieren:

  1. Mehrspartenvereine mit der Möglichkeit sich in verschiedenen Sportarten auszuprobieren.
  2. Überwiegend weibliche Mitglieder in Vorstand und Teamverantwortung zur Betreuung der Mädchen.
  3. Regelmäßige Schnupperangebote ohne den Druck einer Vereinsmitgliedschaft (z.B. durch offene Trainingsgruppen, Tage der offenen Tür).
  4. Fußball als Kursangebot mit flexibler Einteilung der persönlichen Kapazitäten zur Teilnahme (z.B. auch durch AGen an Schulen).
  5. Breitensportliche und leistungsorientierte Angebote, insb. Berücksichtigung heterogener Gruppenzusammensetzungen (Stichwort Späteinsteigerinnen).
  6. Teamaktivitäten außerhalb der Trainingszeit (z.B. kreative Nachmittage, Ausflüge, Abschlussfahrt, Weihnachtsfeiern) sowie Stärkung der Vereinsbindung (z.B. einheitliche Trikots zur Identitätsstiftung).
  7. Kooperationen mit Bildungsträgern (z.B. Hausaufgabenbetreuung, Berufsberatung) oder Qualifizierungsangebote im Sport (z.B. zur Entwicklung weiblicher Führungskräfte).


Mit der eierlegenden Wollmilchsau, die vielerorts Zitierung findet, hat dies jedoch wenig zu tun. Vielmehr kommt es im Kern auf eine aufrichtige Wertschätzung jedes einzelnen Mitglieds und dessen Bedürfnisse an. Kooperatives Miteinander über den Fußballplatz hinaus und eine persönliche Betreuung der Mitglieder als Teil des Vereins und nicht als Kunden sollten den Mittelpunkt des Vereinslebens bestimmen. Auch wenn viele Eltern den Verein als Dienstleister wahrnehmen, liegt es doch in der Hand des Clubs ein familiäres Umfeld zu schaffen, in dem sich alle gerne engagieren.

Wie berücksichtigt ALLE KICKEN MIT diese Erkenntnisse?
Die Projektarbeit richtet sich bereits seit vielen Jahren verstärkt auf die soziale Verantwortung des Fußballs sowie das Thema Vielschichtigkeit in den Angeboten. Der Kern des Projekts besteht nach wie vor aus den sportlichen Angeboten in Form von Arbeitsgemeinschaften, Turnieren und Fußballcamps. Bei der konkreten Ausgestaltung dieser Angebote werden neben der Qualität der fußballerischen Ausbildung (vielseitige Bewegungsschulung, breitensportlicher Ansatz, qualifizierte Übungsleitungen) auch andere Kompetenzen und Interessen gefördert. Beispiele:

  • Team-ID als begleitende Aktivität bei Fußballcamps (Kennenlernen der anderen Teilnehmerinnen, gemeinschaftliche Gestaltung von Trikots, Gruppenmotto und kreativer Darstellung)
  • regelmäßige Hofpausenkicks an Schulen und Schnuppertrainings in Vereinen zum Kennenlernen des Umfelds und des Sports
  • niedrigschwellige Qualifizierungsangebote (z.B. digitaler Junior-Coach „only girls“, Assistentinnenausbildung)
  • einheitliche Projektkleidung mit Wiedererkennungswert zur Steigerung der Sichtbarkeit und Zugehörigkeitsempfindung
  • Hoher Frauenanteil in verantwortlicher Position  (3 von 4 Koordinationsstellen) bzw. unter den Übungsleitungen (>50%) sowie Unterstützung von Frauen bei der Qualifizierung und Übernahme von Ehrenämtern


Diese Maßnahmen werden stetig hinterfragt und weiterentwickelt vor dem Hintergrund der Projektleitlinien.

Vereine, die Unterstützung bei der Umsetzung eigener Maßnahmen zur Förderung des Mädchenfußballs wünschen, können sich jederzeit formlos an allekickenmit@berlinerfv.de wenden.

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